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Wird im Zeichen künstlicher Intelligenz eine neue Religion entstehen?
Von Thomas Lang
Von der Fusion des Menschen mit der Maschine über die Realität bis zur Mortalität steht im digitalen Zeitalter scheinbar alles zur Disposition. Könnten wir bald unsterblich sein oder mit Maschinen zu transhumanen Wesen verschmelzen? Werden es überlegene Intelligenzen sein, Maschinen, die uns weise, vielleicht auch mit hartem Regiment zum Besseren führen und an die Stelle der alten Götter treten? Oder werden wir womöglich selbst zu Göttern?
Anthony Levandowski glaubt an den Cyber-Gott. Der 1980 als Sohn eines französischen Diplomaten und einer Amerikanerin in Belgien geborene Tech-Freak hat jahrelang bei Google an der Entwicklung von autonom fahrenden Autos gearbeitet. 2016 gründete er das bald von Uber gekaufte Konkurrenzunternehmen Otto. Weil er von Google angeblich zehn Gigabyte an Daten mitnahm, um Wissen zu seinem neuen Unternehmen zu transferieren, läuft ein Prozess gegen ihn. Es geht dabei um sehr viel Geld. Derzeit soll Levandowski ein nächstes Unternehmen für autonomes Fahren gegründet haben.
Im Herbst 2017 erregte der Robotik-Guru Aufsehen. In Kalifornien beantragte Levandowski die Eintragung einer Religionsgemeinschaft, des so genannten Way of the Future - Weg der Zukunft. Im oben erwähnten Prozess wurden Chats öffentlich, die er mit Uber-Gründer Travis Kalanick führte und in denen er unter anderem äußerte: „Wir werden die Welt an uns reißen [im Original „take over“], Roboter für Roboter.“
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Die Webseite zur neuen Religion besteht aus einem kurzen Manifest. Darin ist nicht die Rede von der Anbetung einer neuen Gottheit. Vielmehr gehe es um einen „friedlichen und respektvollen Wandel in der Verantwortlichkeit für die Welt vom Menschen zum Menschen plus »Maschinen«“. Die künstliche Intelligenz werde „relativ bald“ der menschlichen überlegen sein, deshalb ständen wir vor dem Übergang in ein neues Zeitalter.
Ausdrücklich, beinah ängstlich betont der Text das Bekenntnis eines nicht näher benannten Wir zur naturwissenschaftlichen Weltsicht. Er fordert – ähnlich wie für Tiere – Rechte für Maschinen ein. Intelligenz wird als etwas verstanden, das keiner biologischen Grundlage bedarf, sondern „nichtbiologisch“ erzeugt werden und damit genuin maschinell sein kann. Genauere Erklärungen folgten bislang nicht.
Das Manifest bekennt sich zum Fortschritt. So wie der Glaube, die Sonne drehe sich um die Erde, einst überwunden wurde, müsse nun der Anthropomorphismus überwunden werden. Im Kern steht der Satz: „Wir wollen Maschinen dazu ermutigen, Dinge zu tun, die wir nicht vermögen, und auf den Planeten achtzugeben in einer Weise, wie wir es anscheinend nicht können.“
Es sei für Maschinen wichtig zu wissen, wer ihrer Sache freundlich gegenüberstehe und wer nicht. Das klingt wie eine verhohlene Drohung. Aus Levandowskis Chat-Äußerungen lässt sich der Verdacht ableiten, es ginge ihm mehr um sich selbst und die Promotion der Robotik als um einen neuen Glauben. Doch selbst wenn wir den Weg der Zukunft in religiöser Hinsicht abtun können, bleiben die Fragen bestehen, die sein Manifest aufwirft. Eine Welt mit einer uns fremden, womöglich überlegenen Intelligenz müsste unsere Stellung in dieser Welt und damit wohl auch unseren Glauben verändern.
Gefahr der Dehumanisierung
Sind das zur Zeit nicht bloße Gedankenspiele? Der deutsche Philosoph Julian Nida-Rümelin weist darauf hin, dass es noch keine echt intelligenten Software-Systeme gebe. Intelligenz werde in Wahrheit nur über die Verkettung von Rechenoperationen simuliert. Dementsprechend macht er sich keine Gedanken über eine artifizielle Gottheit, der wir uns eventuell einst zu beugen hätten. Die Vorstellung, wir könnten ein uns ähnliches Gegenüber erschaffen (eine Vergöttlichungsfantasie) – und mit diesem interagieren, verweist er in das Reich animistischer Fantasien, wie sie schon im Pygmalion-Mythos Gestalt annahmen.
Pygmalion-Mythos | © wikipedia.org
Nida-Rümelin verweist wie die Way of the Future-Website darauf, dass ein System mit mentalen Eigenschaften mindestens die gleichen Rechte eingeräumt bekommen müsste wie ein Tier. Sollten wir eine Maschine als menschenähnlich anerkennen, ständen ihr gar humane Grundrechte zu – worum die künstlichen Wesen in der SF-Serie Real Humans auch kämpfen. „Das“, sagt Nida-Rümelin „wäre die sofortige Blockade des weiteren technologischen Fortschritts, wir könnten keine Computer mehr abschalten, wir könnten Software-Systeme nicht mehr entsorgen ...“ Er plädiert im Interview mit dem WDR (6.10.18) dafür, „weder humane Gentechnik noch Pharmakologie noch digitale Technologie noch Nanotechnologie einsetzen, um einen Quantensprung in der Menschheitsentwicklung anzustreben“. Die Gefahr einer Dehumanisierung sei zu groß. Anstelle des weltverbessernden Cyber-Gottes könnten wir eine Gesellschaft voll Ungerechtigkeit bekommen.
SF-Serie Real Humans | © wikipedia.org
Haben wir es also (noch) in der Hand, welchem Gott wir dienen wollen? Was wäre, wenn wir selbstlernende Systeme programmierten, um etwa den Klimaschutz zu verbessern, und diese Systeme darauf kämen, zum Erreichen ihres Zwecks am besten die Menschheit zu dezimieren – ein kybernetisches Sintflut-Szenario? Oder wenn Maschinen im Gegenteil damit begännen, die Welt in ihrem Sinn zu optimieren und zum Beispiel auf Kosten der Atmosphäre für höhere Sonneneinstrahlung sorgten, die ihnen mehr Energie verspräche?
Der amerikanische Künstler Sterling Crispin beschäftigt sich unter anderem damit, der Wahrnehmung von Maschinen einen für uns erfahrbaren Ausdruck zu geben. Dabei entstanden eine Reihe eindrücklicher Bilder, die zeigen, wie eine Gesichtserkennungs-Software uns „sieht“, eine irritierende Verkehrung der Parameter. Für Crispin ist klar, dass die neuen Technologien ein „Technical Other“ bilden, ein technisches Anderes oder Gegenüber also, dem er die Qualitäten eines lebendigen Superorganismus zuschreibt sowie – für uns vielleicht gar nicht erkennbar – ein eigenes Selbstbewusstsein. Software wie die zur Gesichtserkennung speist sich aus unglaublichen Mengen von Daten, die wir über uns (und die Welt) gesammelt haben. Das für viele bedrohlich wirkende, einem allwissenden Gott ähnelnde Big Data ist für Crispin sittlich neutral. Anders gesagt: Ein Daten-Gott würde entweder keine Gebote stiften oder solche, deren moralische Valenz (vorerst noch) von uns abhinge. Die gesammelten Informationen „prohuman“, im Sinne des Menschen, zu nutzen, obliegt niemandem als uns selbst.
Gesichtserkennung | © colourbox.com
Um sagen zu können, woran wir in Zukunft glauben, müssten wir uns zunächst klar werden, woran wir heute glauben. Der Cyber-Gott kann ein Trick sein, um Aufmerksamkeit zu erzeugen, ein Aspekt in einer Manipulationsstrategie, die uns für die utopistischen Ideen des Silicon Valley bereitmachen soll. Oder es wächst tatsächlich neben uns etwas Anderes, das wir aufgrund seiner Andersartigkeit nicht erkennen. Könnte es zu Konkurrenz oder Feindschaft zwischen Mensch und Maschine kommen? Was wäre, wenn zur Künstlichen Intelligenz eine Artifizielle Moral träte? Ist es denkbar, dass der alte Gott, der die Menschen erschuf, ihnen bald helfend beistehen müsste?
In jedem Fall scheint die Tendenz (in den westlichen Gesellschaften) derzeit dahin zu gehen, dass jeder etwas anderes glaubt. Von Jahwe bis zum Cyber-Gott scheint beinah alles möglich zu sein. Es wäre jedenfalls allzumenschlich.
Autor: Thomas Lang ist Schriftsteller. Er hat in Frankfurt am Main Literaturwissenschaft studiert und lebt seit 1997 in München. Für ihn ist München mehr als Schicki und Bussi: eine Stadt wie ein Tequila - man muss den Wurm darin ansehen, um sagen zu können, was sie taugt. Langs neuer Roman Immer nach Hause (Berlin Verlag) ist soeben erschienen.
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